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Vom Leben und vom Sterben

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3 years ago

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Leben und Tod liegen nah beieinander. Als mein erster Sohn auf die Welt kam, kam er auf die Welt — und war tot. Eine Minute lang kämpften die Ärzte um sein Leben. Er schaffte es und heute geht es ihm gut. Alles wurde okay.
Bei der Geburt meines zweiten Sohnes verlief alles normal — sofern bei der Geburt eines Menschen überhaupt etwas ”normal“ sein kann. Nur, genau zur selben Zeit, wie ich ein neues Leben auf die Welt begleitete, verabschiedete ich ein anderes: mein Vater starb.
Diese zwei Ereignisse waren heftig, sie waren schön und schrecklich. Ich lernte viel. Dabei wurde mir etwas bewusst: 1) NICHTS in diesem Universum ist selbstverständlich. 2) Es gibt Momente, da überschneiden sich die zwei Zustände Dasein und Nicht-Dasein.
Das ist der Beat des Lebens; ein Raunen der Zeit, wenn man so will, das schon immer da war und nie aufgehört hat und nie aufhören wird, so lange diese tolle und absurde Spezies auf diesem Planeten herumhüpfen wird; das, wenn man es vernimmt, einen fassungslos und demütig macht.
Die Geburt eines Menschen zu erleben ist das beeindruckendste, irrste, erfurchtgebietendste und erschütterndste, das es wahrscheinlich gibt; den Tod eines Menschen direkt zu erleben auch.
Man vergisst bei dem ganzen High-Tech der Medizin, dass es nicht selbstverständlich ist, dass eine Geburt gut ausgeht; weder für das Kind, noch für die Mutter. Man hat es verdrängt, wie so vieles in unserer Gesellschaft, aber man fühlt es noch.
Alte Kulturen waren sich der Bedeutung dieses Moments, wenn ein neues Leben auf die Welt kam stärker bewusst; sie begriffen und respektierten diese Überlagerung der zwei Zustände. Es war ein mystischer Prozess; und er ist es immer noch.
Und am anderen Ende dieses Daseins, dem Tod, gibt es diesen Moment der Resignation und der Einsicht, das alle Forschung und alle Technik dieser Welt nicht helfen kann, einen Menschen weiterleben zu lassen.
Beide Ereignisse zu erleben — das auf die Welt kommen und von dieser Welt gehen — hat die Tektonik meiner inneren Landschaft grundlegend verändert; sie haben mir gezeigt, was dieses Menschsein überhaupt ist und mir dabei geholfen es besser zu verstehen.
Also, geht raus in diese seltsame Welt, lacht ein bisschen und weint ein bisschen; atmet, esst und schaut euch die Wolken an. Verbringt gemeinsame Zeit mit anderen Menschen — in diesem schönen, schrecklichen Leben. Es ist da und es ist: jetzt. #MementoMori
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himmelende

@himmelende

I write about how to reconnect with yourself and others. I write about: us.